Im dunklen Wald

Ygritte lachte.
Rohen Hasen hatte sie schon viel zu oft gegessen und sie konnte sagen, dass es sie anwiderte. Es widerte sie an ungekochtes Fleisch zu essen, selbst der Gedanke daran machte sie krank.
Doch die Situation schien unvermeitbar also nickte sie langsam.
"Ich will dich rohes Tier essen sehen, Junge.", sie grinste ihn an, "Das wird deinen hochwohlgeborenen Magen nicht gut tun."

Bran versuchte möglichst, sich nicht provozieren zu lassen. Er redete sich ein, dass er möglicherweise selbst jetzt noch keine Nahrung gehabt hätte, wenn Ygritte nicht gekommen wäre. Er hatte zwar noch nie rohen Hasen gegessen, aber er konnte sich den Geschmack gut vorstellen.
"Dann gebt mir den Hasen und das Messer", sagte Bran. Er beobachtete das blutige Fleisch einen Moment. Es sah wirklich nicht appetitlich aus und gesund auch nicht.

Ygritte reichte ihm das tote Tier und ihr Messer.
Er beugte sich schwerfällig zu der Frau rüber und nahm ihr die Sachen ab. Mittlerweile war es spät geworden und sie hatten weder gegessen noch geschlafen. Der Junge musste müde und noch geschwächter sein als normalerweise.
Langsam musterte er den Hasen. Die Rothaarige sah, dass Bran mit sich kämpfen musste, denn auch ihn widerte das Fleisch an.
Mit dem Messer schnitt er nun grobe Stücke des Hasen ab und reichte Ygritte eines. Sie schluckte. So tief war sie schon eine lange Zeit nicht mehr gesunken. Es fiel ihr sichtlich schwer und sie sah sich schon jetzt mit den Beschwerden, die es auslösen würde, kämpfen.

Nachdem er eher ungeschickt ein paar Stücken abgetrennt hatte, roch er noch daran. Es stank immer noch schrecklich nach Blut und so sah es auch aus. Es kostete Bran eine Menge Überwindung, ein Stück in den Mund zu nehmen - anschließend konnte er die rote Flüssigkeit schon schmecken, genießbar war es natürlich auch nicht. Er versuchte, sich den Ekel nicht anmerken zu lassen.
Während er möglichst schnell kaute, um den Hasen runterzukriegen, beobachtete er Ygritte dabei, wie sie sich abmühte. Anscheinend waren ihre Bemerkungen von vor einigen Minuten jetzt irrelevant. Nun ging es auch ihr schlecht dabei, den Hasen zu essen.
Nachdem Bran den letzten Bissen geschluckt hatte, gab er ein mehr oder weniger peinliches Würgegeräusch von sich.

Ygritte überraschte es wirklich sehr, dass Bran den Hasen aß. Auch wenn sie die Würgegeräusche verunsicherten, wollte sie keine Schwäche zeigen und nahm letztendlich ein Stück in den Mund.
Erst traute sie sich nicht zu kauen, doch dann kam sie sich so vor, als wäre sie nicht sie selbst.
Sie biss vorsichtig auf das Fleisch und der Geschmack von Blut breitete sich in ihrem Mund aus.
"Und, Bran.", auch wenn es schwer für sie war, sah sie den jungen Stark spottend an, "War wohl doch nicht so schmackhaft."

Der Junge musterte Ygritte leicht spöttisch. Sie hatte sich seiner Meinung nach viel schlimmer angestellt, denn eigentlich dachte er, dass sie ihn ganz einfach essen würde. Ohne sich zu ekeln. Aber anscheinend war sie doch nicht so hart, wie sie sich immer gab. "Das habe ich auch befürchtet", erwiderte Bran nur. In seinem Mund war immer noch dieser Geschmack von Blut, der einfach nicht verschwinden wollte und Bran auf eine seltsame Art und Weise schon anekelte. Wieder brachte er ein Würgeräusch hervor, und diesmal war es ihm wirklich peinlich.

Ygritte verdrehte genervt die Augen.
"Oh junger Stark.", sie musste laut lachen, Bran war einfach so lächerlich, "Ich wollte deine Wenigkeit nur imitieren, es gelang mir doch, nicht?"
Die Wildlingsfrau stand auf und suchte sich einen gemütlichen Schlafplatz ein wenig weiter von Bran entfernt, denn sie wollte in der Nacht nichts von Brans Erbrochenem abbekommen.

"Wenn ihr meint", antwortete der Junge einfach und beobachtete, wie Ygritte Abstand von ihm nahm. Wahrscheinlich ging sie davon aus, dass Bran sich erbrechen würde, denn angreifen konnte er sie schlecht und sein Würgen deutete schon darauf hin. Er hatte nicht vor, ebenfalls zu schlafen. Schon gar nicht in dieser Lage.
"Warum habt ihr mich nicht getötet? Ihr seid aus Manke Rayders Lager." Es störte Bran allgemein, dass sie so ehrlich zueinander gewesen sind, aber vielleicht war es einfach nur die Verzweiflung.

Brans Frage machte Ygritte erneut aufmerksam. Hatte er ihr nicht zugehört? Sie war leicht empört, denn der junge Stark würde wohl niemals etwas lernen.
"Ich tötete dich nicht, weil ich schwach bin.", sie formte aus Moos ein Kissen und richtete ihren Blick in die Sterne, "Ich kann ehrlich sein, nicht? Du wirst ja nicht fortrennen und meine Geschichten weiter tragen."
Ygritte liebte es, sich so taktlos zu verhalten. So war sie und so wollte sie auch immer sein, es war ihr gleich was der Warg von ihr dachte. Sie hatte sich erhofft, dass er sehr nützlich werden würde, doch bis jetzt war er eher ein Klotz an ihrem Bein.
"Ich komme nicht aus diesem verdammten Wald ohne deine Hilfe.", sie schämte sich nicht die Wahrheit zu sagen, "Also brauche ich dich, um wieder zurück in den Norden zu kommen, in den echten Norden."

"Ihr könntet", fing Bran an. Er wusste nicht, ob er seinen Satz beenden sollte, denn er wollte Ygritte nicht auf diesen Gedanken bringen. "Wenn ihr mich dann nicht mehr benötigt." Eine Welle von Angst überkam ihn. Es konnte noch nicht allzu spät sein, denn es war noch nicht lange dunkel, aber trotzdem fürchtete er, die Rothaarige könnte ihn im Schlaf ermorden.
Vielleicht konnte er sie dennoch dazu bringen, ihn mit in den Norden zu nehmen. Sie kannte Jon, lebte anscheinend hinter dem Mond, war orientierungslos und ganz allein.

Und auch, wenn ihr Bran geholfen hatte, Ygritte hatte nicht das Bedürfnis ihn zu ermorden.
Sie wusste nicht woher dieses Gefühl kam, doch irgendetwas sagte ihr, dass der Junge noch etwas weitaus Besondereres war als nur ein Warg.
Vielleicht kam diese Ahnung, wie etwas Hoffnung, nur von der Erschöpfung in ihren Knochen und dem Hunger, der sich durch ihren Körper zog, doch sie wollte den jungen Stark nicht aufgeben.
Eine Weile lagen die Beiden nur dort. Ygrittes Rücken schmerzte, denn der Boden war unglaublich hart und der eisige Wind fuhr durch ihre wärmende Kleidung. Die Rothaarige überlegte eine Weile und richtete sich schließlich auf.
Es war so dunkel, dass sie kaum ihre Hand vor Augen sah, doch sie wusste wo Bran saß, denn er konnte sich schlecht fortbewegen.
Ygritte entledigte sich ihrer Fellweste und reichte diese dem Jungen.
"Du brauchst sie dringender als ich."
Sie erzwang sich sogar ein Lächeln.